"Die Zeit" published today in the series WM-Tagebuch (Diary of the World Cup) my piece about yesterday. I am not satisfied with the version they published (half of it and the style completely odd to me), but what can I do... At least I did it to the FRONT PAGE!
The original version is here:
Die erste Minute des Samstags hat mich in einem Pub am Rande des Kapstadt-Stadions erwischt. Das Spiel England – Algerien hatte ich mir dort angeschaut: Alle Engländer, die keine Eintrittskarte bekommen hatten und nicht zuhause geblieben waren, trafen sich in diesem Pub bereits 24 Stunden vor Anpfiff des Spiels. Einen Tag davor, als ich mir dort das Spiel Mexiko gegen Frankreich anschauen wollte, war ich der einzige Mexikaner inmitten einer Überflutung von Engländern, die mir immer wieder ein kostbares Tequila spendierten.
Erst dank dieser englischen Stimmung erinnert man sich an die Euphorie der WM 2006, die sonst bisher in Kapstadt fehlte. Einen ganzen Tag ohne Unterlass von Gesängen, trinken, schreien, trinken, jubeln und weiter trinken. Das Spiel an sich war Mist, und trotzdem war der Pub auch nach dem Spiel immer noch voll.
Später traf ich mich zufällig mit meinen Schwestern, die gerade etwas trinken gehen wollten. Nach den Spielen von Mexiko in Polokwane und von England direkt vor unserem Hotel waren wir einfach zu erschöpft. So anstrengend kann das Leben der Fußballfans sein.
Aber die Ruhe kommt nach dem Sturm, und nicht umgekehrt. Den Samstag wollten wir also für Entspannung nutzen, denn die fußballerische Agenda schien uns nicht so interessant: Holland gegen Japan? Darauf können wir verzichten. Ghana gegen Australien? Darauf könnten wir verzichten. Kamerun gegen Dänemark? Hmm, mal sehen... Erstmal Rehab!
Die Familie verließ also Kapstadt und fuhr in Richtung Süden, bis dorthin wo der Kontinent endet, zum Kap der Guten Hoffnung. Mit der heimlichen Hoffnung – muss man beschämt zugeben – um uns ein bisschen vom Fußball zu befreien. Natürlich waren wir überhaupt nicht originell, denn, so schien es, alle restlichen WM-Besucher hatten dieselbe Idee und so standen wir vor den Türen des Nationalparks plötzlich im Stau.
Einst dachten die Seemänner, das Kap der Guten Hoffnung wäre das Ende der Welt. Gestern aber haben wir gelernt, dass dieses Kap in der Tat der Anfang der Welt ist: Fans aus allen Nationen sind mit ein und derselben Absicht dorthin gepilgert: So weit wie möglich vor der Zivilisation zu fliehen.
Keinem ist es gelungen, denn die Zivilisation ist mitgereist. Wie bei einem tragischen Schicksal mussten wir alle selbst dort noch dem Fußball folgen, denn was macht man gerade sonst in Südafrika? In mir erwachten Kindheitserinnerungen, weil ich seit langem kein Spiel mehr im Radio verfolgt hatte. Dazu kam noch die Klugheit der besser Ausgerüsteten, die Live-Ticker auf iPhones und Blackberries studierten. Vor Ort trugen viele ein Trikot und flatternde Fahnen. Sonst war die Rede eher über Anelkas nettes Kompliment an Domenech. Als ich das Schild „Berlin 9 575 Km“ fotografierte, bekam ich eine sms aus dieser Ferne. Meine Freundinnen dort waren tatsächlich vom Fußball erlöst: „Die Hochzeit der schwedischen Kronprinzessin ist eine echte Traumhochzeit!“ Ich habe es den Anderen erzählt. Und so bedauerten wir wieder, dass dieses Mal Schweden nicht bei der WM mit dabei ist, denn hier in Südafrika wird die schwedische und blonde Stimmung sehr vermisst.
So verlief grundsätzlich unser Tag. Abends fuhren wir zurück nach Kapstadt. Auf der Rückfahrt in der Abenddämmerung entdeckten wir in einem kleinen Tal umringt von mit Weingütern bedeckten Hügeln einen Bolzplatz. Dort spielte man puren Fußball, dort zeigte sich das wahre Afrika-ohne-WM: bunte Hemden gegen freie Oberkörper, kein Hi-Tech-Ball, kein gerades Tor, keine Zuschauer aber offensichtlich mit viel Freude dabei.
Dann kamen wir ins Hotel zurück, nahmen schnell eine Dusche und gingen wieder hinaus, um etwas zu essen. Um die Ecke befindet sich das ‚Public Viewing’, alle Restaurants prahlen mit Flachbildschirmen und Beamern, es ist viel los. Mittlerweile spielte schon Dänemark. Wir bestellten und schauten uns das Spiel gerne an, was sonst?
Egal was man eigentlich will, egal wohin man geht, egal was für gute Hoffnungen man hat, vor dem Fußball kann man heute hier nicht mehr entfliehen. Und das ist auch gut so.
Die letzte Minute des Samstags erwischte mich, als ich in meinem Hotelzimmer die Tore des Tages auf YouTube suchte. Das Video der schwedischen Hochzeit werde ich mir vielleicht erst nach dem Endspiel anschauen. Mal sehen.
Kapstadt. Juni, 2010.
Die erste Minute des Samstags hat mich in einem Pub am Rande des Kapstadt-Stadions erwischt. Das Spiel England – Algerien hatte ich mir dort angeschaut: Alle Engländer, die keine Eintrittskarte bekommen hatten und nicht zuhause geblieben waren, trafen sich in diesem Pub bereits 24 Stunden vor Anpfiff des Spiels. Einen Tag davor, als ich mir dort das Spiel Mexiko gegen Frankreich anschauen wollte, war ich der einzige Mexikaner inmitten einer Überflutung von Engländern, die mir immer wieder ein kostbares Tequila spendierten.
Erst dank dieser englischen Stimmung erinnert man sich an die Euphorie der WM 2006, die sonst bisher in Kapstadt fehlte. Einen ganzen Tag ohne Unterlass von Gesängen, trinken, schreien, trinken, jubeln und weiter trinken. Das Spiel an sich war Mist, und trotzdem war der Pub auch nach dem Spiel immer noch voll.
Später traf ich mich zufällig mit meinen Schwestern, die gerade etwas trinken gehen wollten. Nach den Spielen von Mexiko in Polokwane und von England direkt vor unserem Hotel waren wir einfach zu erschöpft. So anstrengend kann das Leben der Fußballfans sein.
Aber die Ruhe kommt nach dem Sturm, und nicht umgekehrt. Den Samstag wollten wir also für Entspannung nutzen, denn die fußballerische Agenda schien uns nicht so interessant: Holland gegen Japan? Darauf können wir verzichten. Ghana gegen Australien? Darauf könnten wir verzichten. Kamerun gegen Dänemark? Hmm, mal sehen... Erstmal Rehab!
Die Familie verließ also Kapstadt und fuhr in Richtung Süden, bis dorthin wo der Kontinent endet, zum Kap der Guten Hoffnung. Mit der heimlichen Hoffnung – muss man beschämt zugeben – um uns ein bisschen vom Fußball zu befreien. Natürlich waren wir überhaupt nicht originell, denn, so schien es, alle restlichen WM-Besucher hatten dieselbe Idee und so standen wir vor den Türen des Nationalparks plötzlich im Stau.
Einst dachten die Seemänner, das Kap der Guten Hoffnung wäre das Ende der Welt. Gestern aber haben wir gelernt, dass dieses Kap in der Tat der Anfang der Welt ist: Fans aus allen Nationen sind mit ein und derselben Absicht dorthin gepilgert: So weit wie möglich vor der Zivilisation zu fliehen.
Keinem ist es gelungen, denn die Zivilisation ist mitgereist. Wie bei einem tragischen Schicksal mussten wir alle selbst dort noch dem Fußball folgen, denn was macht man gerade sonst in Südafrika? In mir erwachten Kindheitserinnerungen, weil ich seit langem kein Spiel mehr im Radio verfolgt hatte. Dazu kam noch die Klugheit der besser Ausgerüsteten, die Live-Ticker auf iPhones und Blackberries studierten. Vor Ort trugen viele ein Trikot und flatternde Fahnen. Sonst war die Rede eher über Anelkas nettes Kompliment an Domenech. Als ich das Schild „Berlin 9 575 Km“ fotografierte, bekam ich eine sms aus dieser Ferne. Meine Freundinnen dort waren tatsächlich vom Fußball erlöst: „Die Hochzeit der schwedischen Kronprinzessin ist eine echte Traumhochzeit!“ Ich habe es den Anderen erzählt. Und so bedauerten wir wieder, dass dieses Mal Schweden nicht bei der WM mit dabei ist, denn hier in Südafrika wird die schwedische und blonde Stimmung sehr vermisst.
So verlief grundsätzlich unser Tag. Abends fuhren wir zurück nach Kapstadt. Auf der Rückfahrt in der Abenddämmerung entdeckten wir in einem kleinen Tal umringt von mit Weingütern bedeckten Hügeln einen Bolzplatz. Dort spielte man puren Fußball, dort zeigte sich das wahre Afrika-ohne-WM: bunte Hemden gegen freie Oberkörper, kein Hi-Tech-Ball, kein gerades Tor, keine Zuschauer aber offensichtlich mit viel Freude dabei.
Dann kamen wir ins Hotel zurück, nahmen schnell eine Dusche und gingen wieder hinaus, um etwas zu essen. Um die Ecke befindet sich das ‚Public Viewing’, alle Restaurants prahlen mit Flachbildschirmen und Beamern, es ist viel los. Mittlerweile spielte schon Dänemark. Wir bestellten und schauten uns das Spiel gerne an, was sonst?
Egal was man eigentlich will, egal wohin man geht, egal was für gute Hoffnungen man hat, vor dem Fußball kann man heute hier nicht mehr entfliehen. Und das ist auch gut so.
Die letzte Minute des Samstags erwischte mich, als ich in meinem Hotelzimmer die Tore des Tages auf YouTube suchte. Das Video der schwedischen Hochzeit werde ich mir vielleicht erst nach dem Endspiel anschauen. Mal sehen.
Kapstadt. Juni, 2010.
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